Hilfe kommt von den seltsamsten Orten
-von David Brooks (Feb 01, 2011)
Hilfe kommt von den merkwürdigsten Orten. Wir leben mitten in einer Revolution des Bewusstseins. In den letzten Jahrzehnten haben Genetiker, Neurowissenschaftler, Psychologen, Soziologen, Ökonomen und andere große Fortschritte beim Verständnis der inneren Funktionsweise des menschlichen Geistes gemacht. Weit davon entfernt, trocken materialistisch zu sein, erhellt ihre Arbeit die reiche Unterwasserwelt, in der such der Charakter bidet und Weisheit entsteht. Sie geben uns ein besseres Verständnis für Emotionen, Intuitionen, Vorurteile, Sehnsüchte, Veranlagungen, Charaktereigenschaften und soziale Bindungen, genau die Dinge, über die unsere Kultur am wenigsten zu sagen hat. Die Hirnforschung hilft, das Loch zu füllen, das die Atrophie der Theologie und Philosophie hinterlassen hat.
Eine Kernaussage dieser Arbeit ist, dass wir nicht primär das Produkt unseres bewussten Denkens sind. Der bewusste Verstand gibt uns eine Möglichkeit, unsere Umwelt zu verstehen. Aber das Unterbewusstsein gibt uns andere, subtilere Möglichkeiten. Die kognitive Revolution der letzten dreißig Jahre eröffnet uns eine andere Perspektive auf unser Leben, eine, die die relative Bedeutung der Emotion gegenüber der reinen Vernunft hervorhebt, eine Perspektive, die soziale Beziehungen gegenüber der individuellen Alternative betont, ebenso wie moralische Intuition gegenüber abstrakter Logik, Wahrnehmungsvermögen im Vergleich zu I. Q. Diese Perspektive erlaubt es uns, eine andere Art von Erfolgsgeschichte zu erzählen, eine innere Geschichte, die neben der konventionellen oberflächlichen einhergeht.
Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie diese innere Geschichte abläuft, ziehen wir einen Jungen der 'Gelassenheitsklasse' in Betracht, obwohl die Lektionen natürlich für alle gelten. Ich nenne ihn Harold. Sein Inneres Training begann schon vor der Geburt. Harold hörte schon im Mutterleib auf die Stimme seiner Mutter und wurde dadurch geformt. Französische Babys weinen anders als Babys, die im Mutterleib Deutsch gehört haben, weil sie vor der Geburt französische Intonationen aufgenommen haben. Fötusse, dene im Mutterleib "Die Katze im Hut" vorgelesen wurden, saugen rhythmisch, wenn sie es nach der Geburt wieder hören, weil sie den Rhythmus der Poesie erkennen.
Als Neugeborener war Harold, wie alle Babys, mit seiner Mutter verbunden. Er sah sie an. Er ahmte sie nach. Sein Gehirn wurde mit ihrer Liebe verkabelt (je mehr ein Rattenbaby von seiner Mutter geleckt und gepflegt wird, desto mehr synaptische Verbindungen hat es). Umgekehrt erkannte Harolds Mutter seine Launen. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Gespräch, das auf Berührung, Blick, Geruch, Rhythmus und Imitation basierte. Als Harold ungefähr elf Monate alt war, erkannte seine Mutter, dass sie ihn besser kannte als alle anderen, obwohl sie nie ein Wort ausgetauscht hatten.
David Brooks, in Social Animal