Der Sinn und das Lied der Seele
-von Llewellyn Vaughn-Lee
Der Sinn ist das, was aus den Tiefen der Seele ruft.
Es ist das Lied, das uns ins Leben singt. Ob wir ein sinnvolles Leben haben, hängt davon ab, ob wir dieses Lied, diese Urmusik des Heiligen, hören können. Das "Heilige" ist nicht etwas primär Religiöses oder gar Spirituelles. Es ist keine Qualität, die wir lernen oder entwickeln müssen. Es gehört zur primären Natur von allem, was ist. Als unsere Vorfahren wussten, dass alles, was sie sehen konnten, heilig war, war dies nicht etwas gelehrtes, sondern instinktiv bekannt. Es war so natürlich wie das Sonnenlicht, so notwendig wie das Atmen. Es ist eine grundlegende Erkenntnis des Wunders, der Schönheit und der göttlichen Natur der Welt. Und aus diesem Sinn für das Heilige entsteht der wahre Sinn, der unsere Herzen mit dem tiefsten Grund des Lebendigseins singen lässt.
Traurigerweise ist heute so vieles im Leben mit Ablenkungen überschüttet, mit den Süchten des Konsumverhaltens. Die Musik der Seele ist nicht leicht zu hören inmitten des ständigen Lärms des Lebens und Wunder und Geheimnisse sind immer unzugänglicher geworden. Als Kultur scheinen wir den Faden verloren zu haben, der die Welten miteinander verbindet: die innere Welt, aus der der Sinn geboren wird, und die äußere Welt, in der wir unsere Tage verbringen. Die Geschichten der Seele werden nicht mehr erzählt, stattdessen sind unsere Träume die Wünsche des Materialismus geworden. Sogar Spiritualität wird oft auf dem Marktplatz verkauft, eine weitere Droge, die verspricht, uns zu besänftigen, um die wachsende Befürchtung zu verdecken, dass etwas Wesentliches fehlt.
Um einen Sinn zu finden, müssen wir unseren Sinn für das Heilige zurückgewinnen, etwas, das unsere Kultur übersehen oder vergessen zu haben scheint. Das Heilige ist eine essentielle Qualität des Lebens. Es verbindet uns mit unserer eigenen Seele und dem Göttlichen, das die Quelle von allem ist, was existiert.
Das Heilige kann in jeder Form gefunden werden: ein kleiner Stein oder ein Berg, der erste Schrei eines neugeborenen Kindes und der letzte Atemzug eines Sterbenden. Es kann in einem Brotlaib, auf einem Tisch, in der Erwartung einer Mahlzeit und in den Worten, die die Mahlzeit segnen, vorhanden sein. Die Erinnerung an das Heilige ist wie eine zentrale Note im Leben. Ohne diese Erinnerung fehlt etwas Grundlegendes für unsere Existenz. Unserem täglichen Leben fehlt eine Grundnahrung, eine Sinnhaftigkeit.
Wenn wir diese Musik fühlen, wenn wir dieses Lied spüren, leben wir unsere natürliche Verbindung mit der Erde und allem Leben. Der Sinn ist nicht etwas, das zu uns gehört, vielmehr wird unser Leben "sinnvoll", wenn wir diese Verbindung leben, wenn wir sie unter unseren Füßen spüren, wenn wir die Straße entlang gehen, im Duft einer Blume, im Rauschen des Regens. [...]
Wir sind alle Teil eines Lebewesens, das wir die Erde nennen und das über unser Verständnis hinaus magisch ist. Sie gibt uns Leben und ihr Wunder nährt uns. In ihrem Wesen kommen die Welten zusammen. Ihre Samen geben uns sowohl Brot als auch Geschichten. Jahrhundertelang waren die Geschichten der Samen zentral für die Menschheit, Mythen wurden immer wieder erzählt - Geschichten der Wiedergeburt, des Lebens, das sich in der Dunkelheit neu erschafft. Jetzt haben wir diese Geschichten fast vergessen. Stattdessen, gestrandet in unserem getrennten, isolierten Selbst, wissen wir nicht einmal, wie hungrig wir geworden sind. Wir müssen einen Weg finden, uns wieder mit dem Wesentlichen zu verbinden - wieder zu lernen, wie man auf heilige Weise geht, wie man mit Liebe und Gebeten kocht, wie man einfachen Dingen Aufmerksamkeit schenkt. Wir müssen lernen, das Leben in all seinen Farben und Düften willkommen zu heißen, immer wieder "ja" zu sagen. Dann wird uns das Leben die Verbindung zu unserer eigenen Seele zurückgeben, und wir werden wieder sein Lied hören. Dann wird der Sinn als Geschenk und Versprechen zurückkehren. Und etwas in unserem eigenen Herzen wird sich öffnen und wissen, dass wir nach Hause gekommen sind.
Kernfragen zum Nachdenken säen: Was bedeutet es für dich, das Leben in all seinen Farben und Düften zu begrüßen? Kannst du eine persönliche Geschichte darüber erzählen, wo der Sinn als Geschenk und Versprechen in dein Leben zurückgekehrt ist? Was hilft dir, deinen Sinn für das Heilige wiederzufinden?