Wie die Beobachtung die Beziehungen verändert
von Vimala Thakar
Wenn wir in Stille sitzen, was tun wir dann? Wir sitzen und beobachten die willkürlichen und unwillkürlichen Aktivitäten von Körper und Geist. Langsam gehen die willkürlichen Aktivitäten zu Ende, aber die unbeabsichtigten Aktivitäten, die wir von Geburt an geerbt haben, von unserer Familie, Religion, Rasse, Nationalität - die den Verstand ausfüllen - gehen weiter, und wir sitzen da und beobachten ihre Entfaltung.
Da wir es gewohnt sind, die ganze Zeit zu arbeiten, können wir es zunächst schwierig finden, ruhig zu sitzen, oder der Körper kann aufgrund von angestauter Übermüdung einschlafen. In diesem Fall ist es wünschenswert, dem Körper einige Tage Ruhe zu gönnen, bis er wieder frisch ist.
Während du in Stille sitzt, werden Gedanken aufkommen, da der Verstand 24 Stunden arbeitet. Die Gedanken lassen sich weder unterdrücken noch können sie irgendwo entsorgt werden, man kann sie nur beobachten, ohne sie als gut oder schlecht zu bewerten. Dann bist du frei von der Rolle eines Erlebenden und eines Akteurs, du trittst in den Zustand eines Beobachters der reaktionslosen Aufmerksamkeit ein.
Sobald sich der Geist bewegt und sagt: "Ich mag" oder "Ich mag nicht", was er sieht, gibt es eine Störung, eine Belastung des Geistes und die Rolle des Beobachters geht verloren und man taucht wieder in die Rollen eines Erlebenden und Akteurs ein. Wenn du nicht auf die Gedanken reagierst, die du beobachtest, wenn sie nicht mehr die Kraft haben, dir eine Reaktion zu entlocken, dann werden sie von selbst verschwinden.
Wir können diese Haltung der Beobachtung auf Beziehungen erweitern. Sobald der Zustand des Beobachters aktiviert ist, ändert er die Beziehungen. Es ist eine gewaltige Energie, die dabei hervorgerufen wird. Wenn die Beobachtung im Laufe des Tages zu einem kontinuierlichen Zustand wird, dann:
(1) gibt es keine Selbsttäuschung. Wir verbergen nichts vor uns selbst. Es gibt nichts mehr, was als unterbewusst oder unbewusst gilt, es wird alles in der Beobachtung offenbart. Es gibt jetzt nur noch die bewusste Ebene.
(2) hören wir auf, andere zu täuschen oder anderen ein anderes Bild von uns selbst zu vermitteln. Das Sehen dessen, was ist, ohne Rechtfertigung oder Verurteilung, erschüttert das Bild. Wir haben jetzt den Mut zu leben und zu sein, was wir sind.
(3) Wir werden uns all dessen bewusst, was in uns geschieht, der verschiedenen Emotionen, die in uns entstehen, z.B. wenn wir anfangen, wütend zu werden, sind wir uns dessen bewusst und so lockert der Griff des Zorns seine Macht über uns.
(4) Wir erkennen unsere Fehler und geben sie zu; wir bitten sofort um Verzeihung und befreien so den Geist von Altlasten.
(5) Durch Beobachtung verlieren die Gedanken ihren Stellenwert, sodass auch die Belastung und der Druck, den sie auf das neurologische und chemische System ausüben, nachlässt. Es ist ja gerade diese Spannung, die zu unsozialem Verhalten führt.
(6) Schmerz und Vergnügen werden nicht über den jetzigen Moment hinaus fortgesetzt; es entstehen also weder Groll, noch Neid, noch Voreingenommenheit, keine Ressentiments oder Anhaftungen. Die Kunst des Lebens besteht darin, vollständig im Moment zu leben ohne irgendwelche Voreingenommenheiten bezogen auf das nächste Ereignis, die nächste Person oder den nächsten Tag.
Kernfragen zum Nachdenken: Was hältst du von dem Gedanken, keine Altlasten auf die nächste Erfahrung zu übertragen? Kannst du eine persönliche Geschichte über eine Zeit erzählen, in der dein Beobachtungswillen deine Beziehung verändert hat? Wie übt man die Beobachtung, während man aufmerksam und wach bleibt?